Was will Waldorfpädagogik?

Der nachfolgende Text stammt vom Bund der Freien Waldorfschulen. Die Originalfassung als PDF können Sie auf dieser Seite herunterladen.

Die Waldorfschule war und ist Vorreiter

Gemeinsamer Unterricht für Jungen und Mädchen, zwei Fremdsprachen ab der ersten Klasse, Epochenunterricht (Blockunterricht), Gesamtschule von Klasse 1 bis 12, Verzicht auf Sitzen bleiben, künstlerische Gestaltung des Unterrichts, ausführliche Textzeugnisse, Verbindung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Selbstverwaltung (Autonomie) der Schule – all das ist selbstverständlich seit Gründung der ersten Waldorfschule im Jahre 1919; erst sehr viel später wurde einiges davon auch in die Unterrichtspraxis der "Regelschule" aufgenommen. Waldorfpädagogik will die kreativen Kräfte der Schüler von Grund auf entfalten. Anstatt mit vorwiegend vorgegebenen Formen zu arbeiten, die ggf. Lücken zum Ausfüllen bieten, ersetzen selbstgestaltete Epochenhefte weitgehend die Lehrbücher.

Soziale Kompetenzen entwickeln

Das Erüben sozialer Kompetenzen in einer möglichst stabilen Klassengemeinschaft von Schülern unterschiedlicher Begabung ist lebensnaher als ein notenorientiertes Lernen von Schülern derselben Begabungsbandbreite. Gymnasien berauben Real- und Hauptschulen ihrer Zugpferde. Das Herauslösen leistungsschwacher Schüler aus einer Klassengemeinschaft durch Sitzen bleiben setzt einen abstrakten Leistungsgedanken vor die soziale Tragfähigkeit einer Klassengemeinschaft. Waldorfschulen bauen dagegen auf das Lernen im gegenseitigen Miteinander. Denn schneller begreifende Schüler lernen am meisten, wenn sie Gelegenheit bekommen, langsamer begreifenden Schülern etwas zu erklären. Letztere lernen auch besser, wenn sie nicht ausschließlich auf die Erklärungen des Lehrers angewiesen sind. Das gemeinsame Lösen von Aufgaben in Gruppen mit unterschiedlichen Begabungen ist eine Herausforderung des Berufslebens, auf die Schule schon vorbereiten sollte.

Lernen an Bildern - Lernen durch Tun

Das Lernen im Grundschulalter ist noch nicht gedanklich abstrakt, sondern bildhaft konkret. Durch ein nachahmendes Einleben in die Bewegungsformen des Schreibens werden auch Gefühl und Willen angesprochen und die Buchstaben aus künstlerisch gestalteten Bildern herausgearbeitet. So werden das bildhafte Erleben und der Bewegungsdrang des Kindes aufgegriffen und zum Verständnis des jeweiligen Unterrichtsgegenstandes hingeführt. Unter dem Motto "Lernen durch Tun" wird so das Schreiben vor dem Lesen gelernt. Bilder, die die Schüler innerlich bewegen können, ermöglichen es, auch gefühlsmäßig in die mannigfaltigen Erscheinungen der Welt einzutauchen und sie allmählich von innen begrifflich zu konstituieren. - In der Mittel- und Oberstufe tragen handwerklicher Unterricht und Betriebs- und Sozialpraktika zur lebenspraktischen Orientierung bei.

Lebendiges Unterrichten macht den Lehrer zur Autorität

Zufriedenheit mit einer Unterrichtsstunde sollte einen Lehrer nicht dazu verleiten, sie später zu wiederholen, so meinte Rudolf Steiner (1861 – 1925), Begründer der Waldorfschule und der ihr zugrundeliegenden Menschenkunde. Denn wer sich am Leben orientiert, ist ständig in Verwandlung begriffen. Auf der lebendigen Ausgestaltung des Unterrichtsinhaltes gründet die natürliche Autorität des Grundschullehrers. Das Wort "Autorität" ist immer wieder Quelle von Missverständnissen, wenn es fälschlicherweise mit "autoritär" assoziiert wird. Echte Autorität entsteht nur aus einem Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler. Rudolf Steiner betont, dass es "unendlich wichtig" sei, dass das Grundschulkind an dem Erzieher bzw. Lehrer "eine selbstgewählte, freiwillig gewählte Autorität empfindet". Dessen muss sich der Lehrer erst als würdig erweisen. Eine autoritäre Haltung ist diesem Ideal genau entgegengesetzt. Lehrer werden autoritär, wenn sie nicht mehr über die notwendige innere Ruhe und liebevolle Hingabe an die lebendige Kindesnatur verfügen. Schon Rudolf Steiner hatte vorgeschlagen, den Lehrerberuf dadurch immer wieder an das Leben heranzuführen (und dem "Burn-out-Syndrom" entgegenzuwirken), dass in einem Sabbatjahr der Lehrer z.B. in wirtschaftlichen Berufen arbeitet. Die menschenbildende Wirkung des Unterrichts hängt entscheidend davon ab, ob die Pädagogen versuchen, die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen innerlich zu begleiten und dabei ihre eigene Begriffsbildung ständig in Fluss zu halten. Dass das nicht immer gelingt, gehört zum Spannungsfeld jeder Schule. Eine bewegliche Begriffsbildung kann sich keinem Menschenbild verschreiben. Rudolf Steiner war der Auffassung, dass es keinen allumfassenden Standpunkt geben kann. Will man Mensch und Welt verstehen, muss man sich die Fähigkeit erarbeiten, immer wieder völlig neue Sichtweisen zu erproben.

Für seelische Qualitäten Sensibilität entwickeln

Auch die gesunde Entwicklung emotionaler Intelligenz soll an der Waldorfschule gefördert werden. Darum sollte der Lehrer für die verschiedenen seelischen Konstitutionen der Kinder Sensibilität entwickeln und sie in den Unterricht mit einbeziehen. So wird z.B. selbst der Rechenunterricht wesentlich abwechslungsreicher und spielerischer, wenn im Klassengespräch auch auf die Temperamente der Kinder Rücksicht genommen wird. Die vier klassischen Temperamente - Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker - sind dabei nur Anhaltspunkte.

Anthroposophie ist keine Lehre

Ein guter Unterricht fährt sich nicht in Einseitigkeiten fest, sondern atmet. Bloße Wissensvermittlung interessiert keinen jungen Menschen. Wenn der Unterricht aber künstlerisch-dramaturgisch gestaltet wird, indem im rhythmischen Wechsel Spannungen aufgebaut und wieder gelöst werden, wird Schule lebendig. Das kann an jeder Schule geschehen. Waldorfpädagogik versucht, lebendigen Unterricht künstlerisch durchzuführen und seine Voraussetzungen mit Bewusstsein zu durchleuchten. Letzteres kann man auch Anthroposophie nennen. Anthroposophie ist kein von Rudolf Steiner fertig ersonnenes Weltbild, sondern eine bewusste Beziehung zum Geistigen im Menschen. Die Werke Rudolf Steiners sind keine theoretischen Konstrukte, sondern regen Begriffsbildungen an, die - richtig gehandhabt - eine Erkenntnis von seelisch-geistigen Realitäten und ein geistesgegenwärtiges Handeln fördern. Es ist wenig verwunderlich, dass von Seiten einer materialistischen Weltanschauung, die seelisch-geistige Realitäten dogmatisch leugnet, der Anthroposophie jegliche wissenschaftliche Existenzberechtigung abgesprochen wird. Die Früchte der Anthroposophie - z.B. in der Medizin, der biologischdynamischen Landwirtschaft und auch in der Pädagogik - legen ein anderes Zeugnis ab. - Von den Lehrern wird erwartet, dass sie sich mit Anthroposophie auseinandersetzen, natürlich aber nicht von den Eltern. Die Lehrer erhalten dazu u.a. Gelegenheit in einer zusätzlichen Lehrerausbildung für Waldorfschulen. Aber auch die Eltern können sich in Einführungsabenden an den Schulen über Anthroposophie und über Waldorfpädagogik informieren.

Waldorfschulen sind keine Weltanschauungsschulen

Großen Pädagogen, wie etwa Eduard Spranger, war selbstverständlich, dass es eine Pädagogik ohne weltanschauliche Stellungnahme nicht geben kann. Die Frage ist lediglich, ob man sich seiner weltanschaulichen Grundhaltung bewusst ist, oder nicht. Bei einer sich dem Materialismus verschreibenden Geisteshaltung ist das gerade nicht der Fall, wenn sie sich für weltanschaulich neutral erachtet. Die Vermittlung von Weltanschauungen - gleich welcher Art - würde der pädagogischen Grundintention der Waldorfpädagogik widersprechen. Gleichwohl haben alle Schüler die Möglichkeit, an einem Religionsunterricht der Konfessionen oder an einem freien christlichen Unterricht teilzunehmen. Bevor z.B. in Berlin Jüdische Schulen gegründet wurden, besuchten viele Schüler jüdischer Konfession die dortige Rudolf Steiner Schule, so dass für diese jüdischer Religionsunterricht eingerichtet werden konnte. Darüber hinaus werden an den meisten Waldorfschulen die großen christlichen Jahresfeste wie Ostern, Pfingsten, Johanni, Michaeli und Weihnachten von der gesamten Schulgemeinschaft gefeiert.

Mit den Keimkräften der Nacht arbeiten

In einer guten Unterrichtsstunde des Hauptunterrichts wird ein Waldorflehrer nicht alles bis zu Ende erklären, sondern bewusst wichtige Fragen offen lassen. In einer gesund durchschlafenen Nacht kann eine Frage im Unterbewussten geistig aufkeimen, so dass sie am nächsten Tag mit einem ganz anderen Tiefgang von den Schülern aus behandelt werden kann. Daran kann wiederum der Lehrer nur aus Geistesgegenwart mit seinem Unterricht anknüpfen, wobei er bereit sein muss, eventuell seinen vorbereiteten Stoff über Bord zu werfen. Dann ist aus der "Belehrungsanstalt Schule" eine lebendige Lernwerkstatt, geworden, die das Geistige des Menschen aus der Nacht bewusst in den Lernprozess mit einbezieht.

Geistige Beweglichkeit gründet in körperlicher und seelischer Beweglichkeit

Auch die körperliche Grundlage des Lernens wird besonders gepflegt. "In den körperlichen Handlungen hat die Entwicklungspsychologie die Grundlage der Intelligenz wahrgenommen. ... Noch die abstraktesten Leistungen unseres erwachsenen Vermögens haben irgendwann im Entwicklungsgang eine körperliche Handlung zu ihrer Bedingung gehabt" (Jürgen Funke, Sportpädagoge). Das ist eine Grunderkenntnis in der Waldorfpädagogik. Praktisch bedeutet das: neben dem Sport- und Eurythmieunterricht, werden durch Plastizieren, Schnitzen, Tischlern, Metallarbeiten, Schmieden, Steinmetzen, Stricken, Häkeln, Sticken, Schneidern, Filzen, Flechten, Schuhmachen, Spinnen, Weben, Flöten, Leierspielen, Malen, Zeichnen und Buchbinden die unterschiedlichsten Bewegungsintelligenzen ausgebildet. Eurythmie arbeitet u.a. mit Körpersprache als eigens entwickelte Kunstform, um Musik und Sprache an der Bewegung sichtbar zu machen. Die Förderung der künstlerischen Beweglichkeit des Körpers bildet die beste Grundlage für die Entwicklung geistiger Beweglichkeit. Wissen bekommt in der heutigen Zeit eine zunehmend kürzere Halbwertzeit. Das Wichtigste, was eine Schule ausbilden kann, ist die Fähigkeit zu inneren Umbildungen, die möglichst bis ins hohe Alter erhalten bleibt.

Waldorfschule und Computer

Junge Menschen leiden heutzutage nicht an Informationsdefizit oder fehlendem Zugang zu Mattscheibenmedien. Schule sollte Menschen untereinander und mit der Welt in einem Klima menschlicher Wärme real vernetzen. Computer-Lernprogramme gehören daher nicht in die Grundschule. Dort hemmen sie die genuine Sprach- und Sozialkompetenz, die nur in der Zuwendung zum Mitmenschen und nicht anhand eines technischen Surrogats entwickelt werden kann. - Im Mittel- und Oberstufenbereich hingegen nimmt die Auseinandersetzung mit modernster Technik eine wichtige Stellung ein. Das Fach Technologie wurde schon an der ersten Waldorfschule von Rudolf Steiner eingeführt und später an manchen Waldorfschulen auch der Informatikunterricht, lange vor allen anderen Schulen. Heute gehört es zum integralen Bestandteil der Waldorfschule, Computertechnik durchschaubar und handhabbar zu machen.

Bewegliche Unterrichtsform: Epochenunterricht

Eine Besonderheit von Waldorfschulen ist z. B. der Hauptunterricht in den ersten zwei Schulstunden am Morgen, in denen generell der Klassenlehrer (und ab Klasse 9 der Fachlehrer) den Unterricht in Epochen von mehreren Wochen pro Fach erteilt. Klassenlehrer geben in der 7. und 8. Klasse auch öfters Epochen an Oberstufenlehrer ab. Außer bei Fremdsprachen, Musik, Sport, Eurythmie, Werk-, Handarbeits- und Religionsunterricht gibt es Hauptunterrichtsepochen in allen Fächern. Nicht wenige Waldorfschulen gehen allerdings dazu über, auch andere Fächer am späteren Vormittag epochenweise zu unterrichten. Im Hauptunterricht können auch große Klassen unterrichtet werden; im Fachunterricht wie z. B. bei Fremdsprachen werden die Klassen oft halbiert, im Werkunterricht eventuell gedrittelt. Der Fremdsprachenunterricht beginnt schon in der ersten Klasse mit Englisch und Russisch oder Französisch. Viele Schulen verfügen über einen Nachmittagshort und auch die Betreuung zur sog. Kernzeit ist in der Regel gesichert.

Abschlüsse bzw. Aufschlüsse

Zu Aufschlüssen führen, nicht zu Abschlüssen sollte das Ziel jeder Erziehung sein, also die Vorbereitung auf eine Biographie, die nach der Schulzeit weitergeht. Dennoch haben auch an der Waldorfschule die Abschlüsse ihren notwendigen Platz. Die Waldorfschulzeit beträgt zwölf Jahre, in denen der Hauptschulabschluss bzw. die Mittlere Reife, in einigen Ländern auch die Fachhochschulreife, erworben werden kann. In einem angehängten 13. Schuljahr können Schüler, meistens an der Waldorfschule selbst, auch die Abiturprüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission (unter Beteiligung der Waldorflehrer) ablegen. Trotz länderweise unterschiedlichen Bedingungen ist diese immer bundesweit anerkannt. Die Quote von Schülern, die einen entsprechenden Abschluss erreichen, liegt meist ebenso hoch wie oder höher als an staatlichen Schulen.

Individuelle Beurteilung: Text- und Notenzeugnisse

Bei allen Abschlussqualifikationen werden Notenzeugnisse erstellt. Ansonsten werden innerhalb der Waldorfschulzeit detaillierte schriftliche Charakterisierungen des Schülers und seiner Leistungen von jedem Lehrer und in jedem Fach gegeben, die einen genaueren Einblick in die Entwicklung und Befindlichkeit des Schülers geben. Formale Versetzungsentscheidungen und damit ein "Sitzen bleiben" gibt es nicht.

Waldorfpädagogik - weltweit und international

Der von Rudolf Steiner entwickelte pädagogische Ansatz hat sich in den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Umfeldern unter manchmal schwierigsten Bedingungen umgesetzt, z. B. in den Favelas Brasiliens oder als Schule mit Kindern unterschiedlicher Hautfarben unter der Apartheidpolitik Südafrikas. So gibt es im Frühjahr 2011 weltweit 1.000 Waldorfschulen. In Europa sind es 689, davon etwa die Hälfte in den Niederlanden und in Deutschland. Jedes Jahr kommen derzeit ca. 10 Schulen hinzu. Waldorfschulen sind damit die größte internationale von Staat und Kirche unabhängige Schulbewegung. Sie sind nicht zentral organisiert, schließen sich allerdings in regionalen, nationalen und internationalen Verbänden zusammen und unterhalten eine eigene Lehrerausbildung in derzeit 64 Lehrerseminaren und Hochschulen sowie einer Vielzahl berufsbegleitender Seminare. Viele Waldorfschüler besuchen vor ihrer Schulzeit einen der 521 Waldorfkindergärten in Deutschland.

Wie es begann: Die erste Waldorfschule

Die erste Waldorfschule wurde nach Vorträgen von Rudolf Steiner vor Arbeitern Der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart im Jahre 1919 gegründet, nachdem diese von der Persönlichkeit und der menschlichen Wärme Rudolf Steiners so tief beeindruckt waren, dass sie sich für ihre Kinder eine Schule mit tieferen Dimensionen wünschten.

Das Ziel: Freiheit und Vielfalt im Bildungswesen

Waldorfschulen entwickeln sich aus örtlichen Elterninitiativen und werden vom jeweiligen Lehrerkollegium in Selbstverwaltung zusammen mit den Eltern geführt. Jede Waldorfschule ist autonom und somit frei, bis in den Lehrplan eigene pädagogische Ansätze zu verwirklichen. Trotz ihres nichtstaatlichen Charakters sind Waldorfschulen allgemein zugänglich, also freie öffentliche Schulen für jedermann. Als Bildungseinrichtungen in freier Trägerschaft sind sie durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verfassungsmäßig geschützt und je nach Bedingungen des Bundeslandes auch staatlich anerkannt oder staatlich genehmigt.

Der Staat finanziert mit ...

Das Grundgesetz schreibt für Schulen in freier Trägerschaft gleichwertige pädagogische Leistungen und ein Verbot der Sonderung der Schüler nach den finanziellen Verhältnissen der Eltern vor (Artikel 7 Absatz 4). Daraus ergibt sich ein Rechtsanspruch auf Finanzhilfe aus öffentlichen Mitteln, da eine Vollfinanzierung des heutigen Schulstandards über Elternbeiträge eine nur für Wohlhabende zugängliche Privatschule ergeben würde. Letzteres widerspräche auch dem Konzept der sozialen Integration. Ein Sponsoringsystem für freie Schulen gibt es bisher nicht.

... aber bittet die Eltern zur Kasse: Elternbeiträge

Eine Chancengleichheit für alle Schulen besteht in Deutschland nicht: die gemeinnützigen Schulen in freier Trägerschaft werden gegenüber den staatlichen Schulen finanziell benachteiligt, und zwar in den gegenwärtigen Spardebatten mit zunehmender Tendenz (im Gegensatz z. B. zu Schweden oder den Niederlanden, welche ihre staatlichen Schulen nicht finanziell bevorzugen)- und das obwohl namhafte Politiker bis hin zum Bundespräsidenten immer wieder zu einer Ermutigung privater Bildungsinitiativen aufrufen. Da Waldorfschulen deshalb 20% bis 50% weniger finanzielle Unterstützung als staatliche Schulen erhalten, klafft eine Finanzierungslücke, die monatliche Elternbeiträge von durchschnittlich € 80,-- bis € 200,--, regional unterschiedlich, notwendig macht. Sie werden aber stets abhängig vom Einkommen in Absprache mit den Eltern festgelegt, um einen Schulbesuch nicht aus finanziellen Gründen scheitern zu lassen. Dieses System der finanziellen Solidarität unter den Schuleltern hat sich an Waldorfschulen bewährt. Die wegen zu geringer staatlicher Zuschüsse auferlegte Notwendigkeit zur Beitragserhebung ist dennoch ungerecht, denn Eltern werden doppelt zur Kasse gebeten: Einmal sollen sie über ihre Steuern das staatliche Schulwesen mitfinanzieren, zusätzlich aber trotz grundgesetzlich garantierter freier Schulwahl für den Besuch Freier Schulen zahlen.

Öffentliche Veranstaltungen und Tage der offenen Tür

An den Schulen finden regelmäßig öffentliche Veranstaltungen statt, darunter auch öffentliche "Monatsfeiern". In kleinen Klassenspielen, Rezitationen und anderen meist künstlerischen Darbietungen zeigen Schüler aller Klassenstufen, was sie sich erarbeitet haben. Auch die großen Klassenspiele der 8. und 12. Klasse werden öffentlich dargeboten. An den Schulen, oft auch an Volkshochschulen finden Einführungsveranstaltungen für interessierte Eltern statt. Einige Waldorfschulen veranstalten einmal im Jahr einen Tag der offenen Tür, an dem jeder Interessent auch im Unterricht hospitieren kann.

Freie Plätze an den Schulen?

Falls noch Platz in der Klasse ist, können Schüler bis in die Oberstufe hinein "quereinsteigen". Telefonisch kann jederzeit bei der Schule erfragt werden, in welchen Klassen es möglich ist, neue Schüler aufzunehmen. Ein verfügbarer Platz ist allerdings noch keine Aufnahmegarantie, da mehrere Kriterien in eine Aufnahmeentscheidung hineinspielen. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass der Schüler an der Waldorfschule genügend gefördert werden kann. In den Worten der ehemaligen Berliner Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien: "Schulen in freier Trägerschaft sind nicht die Lazarettwagen, die die Opfer der öffentlichen Bildungspolitik aufsammeln."

Rudolf Steiner: Philosoph und Wissenschaftler

Rudolf Steiner war promovierter Philosoph und hat sich zeitlebens nicht gescheut, seine oft sehr kritischen Gedanken über die Zeitlage und die vermeintlichen Grenzen des Erkennens scharf zu formulieren. Früh beschäftigte er sich mit Mathematik, den Naturwissenschaften sowie Goethes naturwissenschaftlichen Schriften. Wiederholt betonte er die Notwendigkeit einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung als Voraussetzung für ein Verständnis der anthroposo-phischen Geisteswissenschaft. Es ist eine auch heute noch wenig bekannte Tatsache, dass er vor dem ursprünglichen Lehrerkollegium über vierzig Vorträge in drei Zyklen über Naturwissenschaft hielt. Bemerkenswert ist u.a., dass er in einem dieser Vorträge schon im Jahre 1920 eine Lichtwirkungsgleichung an die Tafel schrieb, die mit der von Erwin Schrödinger 6 Jahre später veröffentlichten und nach ihm benannten Schrödinger-Gleichung mathematisch identisch ist und die Interpretation Feynmans von einer Diffusion mit imaginärer Diffusionskonstante vorwegnimmt. Sie spielte als Grundlage der Quantenphysik in der modernen Naturwissenschaft eine nicht unbedeutende Rolle. Steiners Erkenntnismethode war eben keineswegs vage und okkult-nebulös, wie manchmal behauptet wird. Sonst hätte sie sich nicht auf so vielen Gebieten als äußerst lebenspraktisch und kulturerneuernd erwiesen. Stellt man sich den hohen Anforderungen der Steinerschen Erkenntnismethode nicht, können einzelne Sätze aus dem voluminösen Gesamtwerk Steiners zu tendenziösen Schlussfolgerungen führen, die in einer angeblichen Nähe Steiners zum nationalsozialistischen Gedankengut und dem damit verbundenen Rassismus und Antisemitismus gipfeln. Tatsächlich vertrat Steiner, dass "Rassenideale (...) der Niedergang der Menschheit" sind. 1922 entkam er nur knapp einem Attentat aus dem völkischen Umfeld. Alfred Bäumler vom nationalsozialistischen "Amt Rosenberg" schrieb 1938 in einem Gutachten: "[Es] kann nach den Grundvoraussetzungen der Anthroposophie diese [pädagogische] Zielsetzung nur eine menschheitliche, nicht eine rassisch-völkische sein". Dem ist nichts hinzuzufügen.