Presseschau - Schutzkonzept

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Schutzkonzept „Schule gegen sexuelle Gewalt“ startet im Saarland

Sexueller Kindesmissbrauch 

Dürfen Lehrer Schüler umarmen?

Experten zufolge haben in Deutschland 13 Prozent der weiblichen und sieben Prozent der männlichen 18- bis 29-Jährigen sexuellen Missbrauch als Kind oder Jugendlicher erlebt. 

Saarbrücken/Berlin. Am Donnerstag startet das Schutzkonzept „Schule gegen sexuelle Gewalt“ im Saarland. Es soll aufklären und Verhaltensregeln vermitteln. Von Joachim Göres 

Dürfen Lehrer Schüler zu sich nach Hause einladen? Eine von vielen Fragen, die Johannes-Wilhelm Rörig von verunsicherten Eltern und Pädagogen gestellt bekommt. Meist kann der unabhängige Bundesbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs seine Gesprächspartner beruhigen. „Im Prinzip ja, aber es sollte fachlich begründet sein und der Schulleitung gemeldet werden“, lautet seine Antwort. Dürfen Lehrer Schüler nach einem Sportturnier umarmen? „Ja, aber solch eine Geste darf nicht für eine sexuelle Berührung genutzt werden.“ Was ist, wenn ein Lehrer ein Mädchen unabsichtlich am Po berührt? „Dann sollte er sich entschuldigen und der Schulleitung Bescheid sagen.“ Sind Fotos beim Umkleiden in der Sportkabine erlaubt? Hier ist seine Antwort kurz: „Nein!“

Rörig startet mit dem saarländischen Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD) am 24. Januar in der Saarbrücker Gemeinschaftsschule Rastbachtal das Schutzkonzept „Schule gegen sexuelle Gewalt“, das in fast allen Bundesländern bereits gilt. Es sieht die Einrichtung einer Beschwerdestelle an Schulen für betroffene Schüler vor. Lehrer sollen Fortbildungen besuchen. Ein Interventionsplan soll regeln, wie bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch vorzugehen ist. Pädagogen sollen einen Verhaltenskodex erarbeiten, um festzulegen, welche privaten Kontakte zu Schülern erlaubt sind. Nach Angaben des Bildungsministeriums sind einzelne Punkte dieses Konzepts in zahlreichen saarländischen Schulen bereits umgesetzt. „Die sexuelle Gewalt unter Gleichaltrigen nimmt zu. Ein großes Problem ist hierbei die Verbreitung von intimen Fotos über soziale Medien“, weist Röring auf einen weiteren Aspekt hin. Und er fügt hinzu: „Wir wollen alles dafür tun, dass Schule kein Tatort wird, sondern Schutzort.“

Laut Jörg Fegert, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Ulm, haben in Deutschland 13 Prozent der weiblichen und sieben Prozent der männlichen 18- bis 29-Jährigen sexuellen Missbrauch als Kind oder Jugendlicher erlebt. Zu über 90 Prozent sind die Täter Männer. „Sie haben einen Blick dafür, welches Kind nach Aufmerksamkeit sucht. Sie bauen gezielt Schamgrenzen ab und erzeugen bei Kindern durch Manipulation Schuldgefühle“, sagt Fegert. Kinder hätten oft das Gefühl, mitgemacht zu haben und dafür bevorzugt behandelt worden zu sein.

17 Monate brauche ein Betroffener im Schnitt, um sich einem anderen Menschen anzuvertrauen. „Du darfst aber nicht darüber sprechen“ – ein Satz, den Fegert immer wieder hört. „Die Kinder vertrauen sich einem auch ohne dieses Versprechen an, aber sie fühlen sich nicht verraten, wenn man aktiv wird.“ Wichtig sei eine offene Atmosphäre. „Bei Befragungen sagen 90 Prozent der Eltern, dass in Schulen und Kitas über sexuellen Missbrauch gesprochen werden soll“, so Fegert.

Dorina Kolbe ist Mitglied im Betroffenenrat, einem Fachgremium beim unabhängigen Bundesbeauftragten. Sie hat in den 70er und 80er Jahren selber sexuelle Gewalt im engsten sozialen Umfeld erfahren. „Damals war es nicht selten, dass Lehrer Schüler schlugen. Man kann sich aber jemandem nur in einer angst- und gewaltfreien Atmosphäre anvertrauen. Mit 13 versuchte ich, mich einer Sportlehrerin zu offenbaren, doch sie konnte meine Signale nicht erkennen, denn sexueller Missbrauch war kein Thema“, sagt Kolbe. Und sie ergänzt: „Es hat sich seitdem viel verbessert. Wichtig wäre, dass das Schutzkonzept an jeder Schule gilt.“ Im Saarland ist „Schule gegen sexuelle Gewalt“ dagegen nur ein Angebot und nicht verbindlich für jede Schule vorgeschrieben.

Quelle: Pressespiegel Bund der FWS; Saarbruecker-Zeitung| 20.01.2019