Presseschau - Folgen von Schulschließungen: "Den Schaden macht niemand wieder gut"

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Die Lernverluste durch Schulschließungen werden ganz schwer aufzuholen sein, sagt Pisa-Studienleiter Schleicher. Der OECD-Direktor spricht im ARD-Interview über die Folgen - und darüber, was deutsche Politiker von anderen Ländern lernen können

Von Helga Schmidt, ARD-Studio Brüssel 

Seit zwei Monaten sind die Schulen in Deutschland geschlossen, zum zweiten Mal in der Pandemie. Einige Mitgliedsländer in der EU haben ähnlich entschieden, auch sie versuchen, die Verbreitung des Virus so in den Griff zu bekommen. Trotzdem sind die Folgen für Kinder in Deutschland gravierender als in anderen Ländern. 

Manche Schäden könnten dauerhaft sein, davor warnt der internationale Bildungsforscher Andreas Schleicher: "Man muss sich dabei klar machen, auch in den besten Zeiten unterstützt das deutsche Schulsystem Kinder aus benachteiligten Elternhäusern nur unzureichend. Das heißt: die Lernverluste werden ganz schwer aufzuholen sein." 

Lernen ist mehr als ein Wissenstransfer

Schleicher verantwortet seit 20 Jahren die internationalen Pisa-Studien. Dass in Deutschland Lernerfolg oft von der Bildung der Eltern abhängt, das rächt sich nach seiner Einschätzung jetzt in der Corona-Krise ganz besonders. Weil gerade benachteiligte Schüler feste Strukturen für das tägliche Lernen brauchen, ihre Lehrer sehen und hören müssen. Lernen sei eben nicht nur Wissenstransfer, sondern auch ein sozialer Prozess. 

Den Schaden für Gesundheit, Entwicklungs- und Berufschancen für Kinder, die dauerhaft nur eingeschränkten Kontakt zu Bildung und zu Freunden haben, den macht niemand wieder gut. Für Kinder aus bildungsfernen Schichten gibt es im Leben nur eine wirkliche Chance. Und das ist eine gute Schulbildung. 

Die Coronakrise hat nach Einschätzung der Vereinten Nationen die größte Störung der Bildungssysteme in der Geschichte verursacht. Einige Länder in der EU konnten das einigermaßen auffangen, weil digitales Lernen schon vor der Pandemie eingeübt war. Die skandinavischen Länder gehören dazu, auch Frankreich und Spanien. 

Schlechte digitale Infrastruktur

Deutsche Kinder haben auch hier einen Nachteil, sagt Bildungsforscher Schleicher. Weil die Digitalisierung mindestens zehn Jahre Verspätung hat. "Nur ein Drittel der Schulen verfügen über eine effektive Online-Plattform. Womit Deutschland wirklich am unteren Drittel der OECD-Staaten rangiert."

 Quelle: tagesschau.de | 10.02.2021